Semiha Mütfüoğlu
Meine Wanderung war eine Reise voller Erlebnisse, die ich mit euch teilen möchte. Hier könnt ihr anhand einer Landkarte meine Route nachvollziehen und auf der Zeitleiste die bedeutendsten Momente meines Lebens sehen. Eine Emotionskurve gibt euch einen Eindruck davon, welche Gefühle mich auf diesem Weg begleitet haben. Jeder Schritt erzählt eine eigene Geschichte – und ihr könnt sie hier miterleben.
Ich wurde in Izmit geboren und aufgewachsen. Mein Entschluss, nach Deutschland zu kommen, beruhte nicht nur auf der Möglichkeit, gutes Geld zu verdienen, sondern auch auf dem Wunsch, meinem Ehemann zu entkommen. In meiner Ehe war ich nicht glücklich, und so wagte ich den Schritt, ohne ihm Bescheid zu sagen, und stellte einen Antrag als Gastarbeiterin. Zunächst musste ich meine Kinder in der Türkei lassen, um Geld zu verdienen und eine stabile Lebensbasis aufzubauen.
Ich erhielt schließlich einen Bescheid, wurde auf gesundheitliche Aspekte und anderes überprüft und kam 1969 mit dem Zug nach Kassel. Die Einreise war relativ unkompliziert. Mein Bruder war bereits hier und arbeitete, also zog ich in seine Nähe. Zunächst arbeitete ich in einer Schuhfabrik und hatte eine Aufenthaltsgenehmigung für 15 Tage, die später verlängert wurde.
Türkische Menschen in Deutschland
© MEDIENDIENST INTEGRATION 2021 | Ausländerzentralregister, Mikrozensus
Nach etwa zwei Monaten kam meine Schwester aus Düsseldorf und nahm mich mit dorthin. Ich arbeitete dort ein halbes Jahr, bis mich die Familie und der Bekanntenkreis meines Mannes fanden und mich nach Marktoberdorf brachten. Im ersten Jahr hatte ich große Schwierigkeiten mit der Sprache. Ich wusste nicht, wie ich mich ausdrücken sollte und kannte niemanden. Diese Isolation machte mich oft traurig. Doch mit der Zeit lernte ich viel.Ich habe nie einen Deutschkurs besucht, aber viel gelesen, mir Dinge angeschaut und vor allem durch meine Kinder, die später nachkamen, viel gelernt. Sie waren mir eine große Unterstützung.
Kinder in fremdsprachigen Haushalten: Ihre Muttersprache
© Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Institut der deutschen Wirtschaft | 2021 IW Medien / iwd
Im ersten Jahr merkte ich schnell, dass Deutschland anders war als die Türkei. Die Menschen waren oft ausländerfeindlich, und wir wurden mehrfach als „Scheiß-Türken“ beleidigt. Doch diese Beleidigungen trafen mich nicht. Ich ignorierte sie einfach.Gleichzeitig bemerkten die Arbeiter, dass ich immer schick und elegant gekleidet war. Eines Tages besuchten sie mich, um zu sehen, wie eine „Türkin“ lebt und ob ich gelernt hatte, mich hier zu kleiden. Als sie bei mir waren, waren sie positiv überrascht. Ich erklärte, dass ich nicht aus Armut hierhergekommen bin, sondern wegen meines Mannes.
Nach einem Jahr brachte ich meinen Mann und meine Kinder nach. Wir hatten zwar Streit, aber er fand nie Arbeit, und ich musste den gesamten Haushalt alleine führen. Das war eine große Herausforderung für mich.
Prozentuale Verteilung der Hassdelikte gegen türkische Bürger im Ausland im Jahr 2020 nach Ländern
© T.C. Kültür ve Turizm Bakanlığı
Ich habe es geschafft, meine Kinder großzuziehen, sie zu verheiraten und zehn Enkelkinder zu bekommen. Nach 55 Jahren Arbeit bin ich nun im Ruhestand. Ich habe in versicherten Arbeitsplätzen gearbeitet und diesem Land genauso viel beigetragen wie jeder andere – und das hat nichts mit meinem Aussehen, meiner Religion oder meiner Herkunft zu tun.Ich bin dankbar für die vielen Ereignisse in meinem Leben und stolz darauf, stark geblieben zu sein. Ich freue mich auf die verbleibenden Jahre und hoffe, dass die Jugend und die deutsche Gesellschaft Migrant*innen wie mich mehr akzeptieren und nicht so abgeneigt sind. Es gibt nicht nur eine Ethnie in einem Land, und wir sollten lernen, gemeinsam zu wachsen und uns gegenseitig zu schätzen.
Renten-Runden in Deutschland
© DRV, BMAS, Stat. Bundesamt